Exegese-Plattform (intern)
Grundsätzlich: Diese Qualitäts-Standards zur Bewertung von Bibel-Auslegungen sollten Sie sich aneignen.
In der wissenschaftlichen Bibelauslegung geht es darum, den Eigen-Aussagen der biblischen Texte Gehör zu verschaffen. In der Ex-egese ("Heraus-Führung") sollen diese Aussagen in ihrem Eigenwert herausgearbeitet werden. Diese Aussagen dürfen oder sollen anders gelagert sein als spätere weltanschauliche oder dogmatische Annahmen. Denn nur so können inspirierende kritische Impulse von den biblischen Texten ausgehen.
Das Problem der Exegese ist das der Eis-egese, der "Herein-Führung" von späteren weltanschaulichen oder dogmatischen Annahmen in den Bibeltext hinein. Dies betrifft auch die wissenschaftliche Sekundärliteratur. Und gerade hier sollten Ihre Ansprüche sehr hoch sein.
Nur werden Sie wahrscheinlich nicht immer Sekundärliteratur finden, die diesen Ansprüchen genügt. Daran lässt sich auch erst einmal wenig ändern, außer dass Sie Ihre Recherche auf andere Kontexte erweitern (etwa den internationalen Forschungsdiskurs). In Ihren eigenen Arbeiten dürfen und sollen Sie auch benennen, wenn eine von Ihnen gelesene Sekundärliteratur Ihren Ansprüchen nicht genügt. Daher geben wir Ihnen drei Standards mit, mithilfe derer Sie die recherchierten Auslegungen kritisch prüfen können:
1) Je autoritärer -- in welche Richtung auch immer -- die Grundhaltung des/der Auslegenden, desto mehr Eisegesen sind zu erwarten. Je höher und selbstverständlicher der soziale Status des / der Auslegenden it, desto höher das Interesse an "biblischer" Bestätigung des Eigenen und desto geringer das Interesse an kritisch-hinterfragenden Neu-Impulsen.
2) Das "Alte Testament" steht für sich sebst. Es wird nicht von modernen weltanschaulichen Konzepten gelesen, wie beispielsweise die erst sehr spät geprägten Konzepte "Religion", "Monotheismus" oder "Naturalismus". Das AT wird auch nicht "vom NT her" gelesen. Das wäre historisch und auch hermeneutisch falsch. Denn das Gegenteil ist der Fall: Historisch ist das NT nach dem AT entstanden. Hermeneutisch liest sich das NT vom AT her. Bei atl. Sekundärliteratur bedeutet das, dass AutorInnen den atl. Text zunächst aus sich selbst oder aus relevanten zeitgenössischen Quellen verstehen sollen.
3) Bei ntl. Sekundärliteratur ist der primäre Bezug zum AT (meist zum griechischen AT, der Septuaginta) sowie zu textlichen und frühjüdischen Quellen maßgeblich. Das ist das, was alle ntl. AutorInnen vor Augen hatten und ggf. sogar auswendig konnten. Es ist immer noch hoch umstritten, welche anderen ntl. Texte die einzelnen AutorInnen überhaupt kannten, da sie zur Zeit ihrer Entstehung an unterschiedlichste Menschen aus voneinander zuweilen weit entfernten Regionen adressiert waren und daher fast nie allgemein zur Verfügung standen. Sie dürfen es daher kritisch anmerken, wenn ein Autor / eine Autorin lediglich Verweise zu anderen ntl. oder späteren christlichen Texten anführt und somit den historischen Kontext der ntl. Schriften verbirgt.
Für alle biblischen Texte gilt, dass dogmatische Konzepte aus späterer Zeit (Bsp. "Trinität") nicht in die Texte hineingelesen werden dürfen. Dogmatische Konzepte werden -- anders herum -- von den Bibeltexten her kritisch geprüft.
0. Rechercheanleitung
Ihre Exegese steht und fällt mit der Literatur, die sie konsultieren. Führen Sie ergänzend zu einer Recherche unter den Print-Beständen der Bibliothek und auf unserem Materialpool (erste Adressen: Theologische Realenzyklopädie; Encyclopedia of the Bible and its Reception; wissenschaftiche Sekundärliteratur AT + NT) auch eine Online-Recherche durch.
Wichtig: Melden Sie sich bei Nationallizenzen an und registrieren Sie sich bei JSTOR und installieren Sie zum Nutzen der Online-Ressourcen der PH-Bibliothek Sophos.
Schritt 1 (Index Thelogicus): Nutzen Sie als Suchmaschine für Bibelstellen den Index Theologicus (Reiter: "Bibelstellensuche" wählen). Hier erhalten Sie bei Open-Access-Veröffentlichungen Direktlinks.
Schritt 2 (Lizensierte Artikel in Datenbanken finden): Durchsuchen Sie zunächst folgende Online-Datenbanken für lizensierte Zeitschriften-Artikel.
Über PH-Zugang
- EBSCO-Host (Suche "BIBLE. englischer Name Ihres Bibelbuches")
Über Nationallizenzen:
- Brill / Brill Journal Archive Online
- Cambridge Core / Journals
- Oxford Journals Collection
- Walter de Gruyter Online-Zeitschriften
Über eigene Anmeldung:
Finden Sie ferner einen interessant klingenden Artikel im Index Theologicus, der zu lizensierten Fachzeitschriften gehört, können Sie eine große Zahl der wichtigsten Zeitschriften über Nationallizenzen oder den von der PH bereitgestellten EBSCO-Host abrufen:
Über Nationallizenzen: Biblische Zeitschrift (AT+NT); Horizons in Biblical Theology (AT + NT); Journal of Ancient Judaism (AT + NT); Novum Testamentum (NT); Review of Rabbinic Judaism (NT); Textus (AT Textkritik); Vetus Tesamentum (AT); Theological Review (AT+NT); New Testament Studies (NT); Journal of the Bible and Its Reception (AT+NT); Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft (AT); Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft (NT) ; Journal of Theological Studies (AT+NT)
Über EBSCO-Host: Journal of Biblical Literature
Schritt 3 (weitere Open-Access-Archive): Durchsuchen Sie schließlich weitere gemeinfreie Archive
- WiBiLex
- ZORA (Link Fachseite Theologie)
- Google-Scholar
- Core
- Oapen
- Lectio difficilor (Open Access)
- Bibelentdeckungen
- "Biblische und orientalische Welt" (Open Access)
- Internet Archive
- Academia.edu
- Researchgate
Bei Google Scholar, Academia.edu und Researchgate müssen Sie auf die Qualitätssicherung der Beiträge achten; beim Internet Archive auf das Publikationsdatum. Grabungsberichte und "Klassiker" sind meist lang über ihr Veröffentlichungsdatum hinaus relevant. Gerade in der exegetischen Forschung gibt es häufig neue Erkenntnisse, sodass viele Werke nach ein paar Jahrzehnten veraltet sind.
Ihre Exegese wird erst korrigiert, wenn Sie mindestens 10 wissenschaftliche Artikel zu ihrem Buch/Text konsultiert haben.
1. Diskursanalyse - Wie wird der Text aktuell dargestellt?
Eigene Recherche: Popkulturelle Darstellungen / Andachten, Kunst, ggf. Presse
Predigten: Predigtarchiv (gerne auch Predigten/Andachten aus anderen Traditionen)
Kinderbibeln (etwa über TheoTUT)
Vorgehen: Hinter der Darstellung (Repräsentation) biblischer Texte oder anderer Zeugnisse der Vergangenheit stehen häufig handfeste Interessen: Macht, Einfluss, Geld. Auch gegenwärtig projezieren Menschen ihre eigenen Vorstellungen in die Vergangenheit hinein. Fragen Sie sich, wo in gegenwärtigen Repräsentationen (Bilder, Zeitungsartikel, Predigten, Filme etc.) Details aus "Ihrem" Bibeltext weggelassen oder umgeändert werden und stellen Sie die Frage nach dem "Warum?".
GS-Studierende: Schauen Sie zusätzlich danach, ob und wie Ihr Text in Kinderbibeln dargestellt wird (ein großer Fundus befindet sich im Theo-Tutoriat resp. im RPI Schwäbisch Gmünd).
Sek-Studierende: Legen Sie besonderen Wert auf die Suche nach Darstellungen Ihres Textes auf Social-Media-Plattformen und fragen Sie danach, welchen Effekt die Darstellungen auf junge Menschen haben (Autoritarismus-Prophylaxe).
2. Rezeptionsgeschichte - Wie wurde der Text ausgelegt?
Generell: Suchen Sie "Ihre Stelle" in der Encyclopedia of the Bible and Its Reception (EBR)
AT: Altkirchliche Kommentare / Online-Suchmaschine altkirchliche Kommentare; rabbinische Auslegungen ("Commentary" und "Midrash" über Sefaria)
NT: Altkirchliche Kommentare / Online-Suchmaschine altkirchliche Kommentare; Kommentare auf Basis der jüdischen Tradition
Hintergrundartikel zum Wert jüdischer Auslegungen für ChristInnen
Vorgehen: Für von der Bibel geprägte Gemeinschaften (jüdisch wie christlich) sind die Kirchenväter resp. Rabbiner des 1. Jahrtausends nach der Zeitenwende eine wichtige Größe.
- Schauen Sie bei AT-Texten nach, was im altkirchlichen und rabbinischen Diskurs zu "Ihrer" Stelle gedacht wurde.
- Bei NT-Texten schauen Sie bitte ebenfalls die altkirchlichen Kommentare nach. Es gibt selbstredend keinen rabbinischen NT-Kommentar aus dem 1. Jahrtausend. Doch gibt es Kommentare, die Motive "Ihres" Textes mit den jüdischen Quellen ins Gespräch bringen (Strack/Billerbeck) sowie eine jüdische neutestamentliche Forschung.
Führen Sie die relevantesten Positionen auf. Denken Sie wieder diskursanalytisch. Wurde etwas weggelassen/hinzugefügt/umgedeutet? Warum, könnte Theologe XY so gedacht haben?
3. Manuskriptgedecke und nicht-manuskriptgedeckte Kritik - methodische Sicherung des Textes
Für einen bibelkundlichen Einstieg: Einleitungs-Literatur, Wissenschaftliches Bibellexikon; A Literary Guide to the Bible (hieraus bitte den Artikel zu "Ihrem" biblischen Buch lesen)
Antike Übersetzungen AT: Septuaginta, aramäische Targumim ("Übersetzungen"; über Sefaria), Peschitta, Vulgata
Antike Übersetzungen NT: Peschitta, Vulgata
Moderne Übersetzungen (Beispiele): Bibelserver, Bibel in gerechter Sprache (mit Kommentar-Funktion), Buber-Rosenzweig (jüdische Übersetzung AT), BasisBibel
Vorgehen:
- Schauen Sie, in welchem biblischen Kontext (Buch, Kapitel) ihr Text steht (bibelkundliche Erschließung). Nutzen Sie hierfür auch den "Literary Guide to the Bible". Sie können bereits hier auch auf andere biblische Texte verweisen.
- Vergleichen Sie zunächst die antiken Übersetzungen "Ihrer" Stelle miteinander. Gibt es Auffälligkeiten (etwa Unterschiede)? Ziehen Sie zum Vergleich zusätzlich moderne deutsche Übersetzungen heran. Wichtig ist hierbei, auf eine Pluralität der Traditionen zu achten. Beispielsweise können Sie die eher katholische Einheitsübersetzung, die emanzipatorische Bibel in gerechter Sprache, die pietistisch geprägte Schlachter-Bibel oder die reformjüdischen Buber-Rosenzweig-Übersetzung zum Vergleich heranziehen. Auch ein Vergleich mit anderssprachlichen Übersetzung ist hilfreich.
Konkordanzarbeit: Blue Letter Bible (empfohlen für genauere Analysen); Online-Studienbibel mit Sprachschlüssel (für schnellere Überblicke); Online-Interlinearbibel mit hebr./gr. Konkordanz; für die Bezüge der NT-Texte zum griechischen AT (Septuaginta-Text): The Bible Tool;
Vorgehen: Durch den Übersetzungsvergleich treten häufig spannende Stellen innerhalb "Ihres" Bibeltextes zutage. Schauen Sie mithilfe der Online-Interlinearbibel bei zwei bis drei Begriffen Ihrer Wahl nach, welche hebräischen/griechischen Begriffe dahinter stehen und schlagen Sie sie (auch mithilfe der Sprachschlüssel-Bibel) nach. Wie könnte man den Begriff an anderen Stellen verstehen? Welches Bedeutungsspektrum hat er? Was bedeutet dieses Bedeutungsspektrum für "Ihre" Stelle. Es lohnt sich, auch ein Blick in die durchsuchbaren theologischen Wörterbücher.
Evangelien-Synopse (auch online verfügbar)
Vorgehen: In der Bibel wird einiges mehrmals überliefert. Samuel-Könige und die Chroniken sowie die Evangelien bieten häufig Varianten derselben Erzählungen. Legen Sie diese "gleich-schauend" (synoptisch) nebeneinander und suchen Sie nach Gemeinsamkeiten oder Unterschieden. Was sagt dies über das Profil "Ihres" Textes aus?
Wenn Sie einen nicht synoptisch vergleichbaren Text haben, schauen Sie, ob Sie eindeutige Zeichen für ein Textwachstum finden können: "Brüche" in der Erzählung / den handelnden Personen / der Zeit / der Grammatik; Dinge, die Varianten innerhalb des Textes darstellen (vormals "Doppelungen" / "Widersprüche"); ist der Text eine Einheit oder nicht?
Nehmen Sie mithilfe der Forschungsliteratur eine für Sie wahrscheinliche Datierung des Textes vor. Wann wurde "Ihr" Text möglicherweise geschrieben. Gibt es Hinweise darauf, dass zwischen "erzählter Zeit" und der Entstehungszeit des Textes zu unterscheiden ist (es wird ein Ereignis geschildert, das erst später verschriftlicht wird)? Ggf. können Sie hier auf andere biblische Texte aus derselben Epoche verweisen.
4. Kulturwissenschaftliche Erschließung - Was hatte der Text vor Augen?
Hintergründe: Civilisations of the Ancient Near East (suchen Sie hier bitte nach Stichwörtern aus "Ihrem" Text; konsultieren Sie mindestens 2 Artikel), Publikationen des Oriental Institute Chicago, The Ancient World Online
Vorgehen: Suchen Sie in diesen Publikationen und Archiven nach im Laufe Ihrer Exegese wichtig gewordenen Stichworten (etwa "Hirte" / "Tempel" / "Menstruation"). Wie wurde in den Kulturen der Antike diese Thematik verstanden? Was bedeutet dies für das Verständnis "Ihres" Textes? Für die Bibel besonders relevant sind der ägyptische Kulturraum, Mesopotamien und der heutige Iran sowie Griechenland und Rom.
Bilder: Bibel und Orient Datenbank Online (BODO) (hieraus 2--3 Bilder), "Biblische und orientalische Welt", Die Ikonographie Palästinas/Israels und der Alte Orient (IPIAO)
Vorgehen: Sie können mit diesen Archiven/Publikationen zweierlei suchen. Erstens können Sie "Trends" und Moden aus dem Enstehungsjahrhundert "Ihres" Textes (hier sind die in der Forschungsliteratur angegebenen Datierungen Ausgangspunkt) ablesen. Was fanden Menschen aus der Zeit des Textes schön oder interessant? Zweitens können Sie wiederum nach wichtig gewordenen Stichworten suchen (Bsp. "Monsterschlange" / "Altar"). In allen Archiven sind zu den Bildern Erklärungen abgedruckt.
Texte: Thesaurus Linguae Aegyptiae, Cuneiform Digital Library Initiative, Kommentare auf Basis der jüdischen Tradition, Frühjüdische Texte (online)
Vorgehen:
AT: Sumerische (01), akkadische (02), mittelägyptische (03) und demotische (04) Texte sind Teil des geistigen Horizonts der Bibel. Einige Traditionen (etwa das Totenbuch oder der Atrachaschisch-Epos) werden von biblischen Texten direkt aufgenommen; zumeist helfen die Texte jedoch einfach den Kontext biblischer Motive zu erhellen. Suchen Sie in den Archiven also nach wichtig gewordenen Stichworten oder Texten, die in der Forschungsliteratur erwähnt werden (mind. 5 Quellen).
NT: Demotische und besonders frühjüdische Texte sind in ntl. Texten ein häufig sehr erhellender Hinterdrund (gerade bei großen mythologischen Traditionen, wie dem Drachen, lohnen auch sumerische, akkadische oder mittelägyptische Texte). Suchen Sie im Thesaurus Linguae Aegyptiae im demotischen Archiv nach Stichworten (etwa "Gericht") oder Texten (etwa "Setne"). Suchen Sie im Kommentar von Strack/Billerbeck nach möglichen Querverweisen zu frühjüdischen Texten und schauen Sie diese nach (mind. 5 Quellen).
5. Bibeldidaktischer Ausblick - Was ist beim Einsetzen des Textes in der Schule zu beachten?
Beispiele: Mediathek des Religionspädagogischen Instituts; Unterrichts-Entwürfe des WiBiLex/WiReLex; Chinuch - Materialdatenbank jüdischer Schulen; Jüdisch beziehungsweise christlich -- Material-Pool zu jüdischen und christlichen Traditionen; Druckvorlagen biblische Themen (in Anlehnung an Montessori); RPI Schwäbisch Gmünd (hier ist sogar eine persönliche Beratung möglich); Volxbibel (ggf. für Sek1)
Vorgehen: Grundfrage ist, ob und wie "Ihr" Bibeltext oder Themen daraus für Ihre SuS relevant werden könnte. Grundtext dafür ist der Bildungsplan für Ihre Schulform (GS/Sek). Fragen Sie sich, ob einer oder mehrerer Ihrer Methodenschritte/Ergebnisse auch etwas für den RU wäre.
- Selbst GrundschülerInnen etwa haben häufig Spaß daran, unter verschiedenen Übersetzungsalternativen eines Wortes auszuwählen
- oder die kulturellen Hintergründe zu einem Thema sind etwas, das viele SuS lange als Orientierungswissen benennen können. Vor allem die bei der kulturwissenschaftlichen Erschließung recherchierten Bild- und Textmaterialien eignen sich gut.
- Wenn Sie mögen, können Sie auch in Materialpools nach möglichen Umsetzungen oder eigene Ideen formulieren.
Es geht hier zunächst nur um einen Ausblick; Sie müssen noch keinen Unterrichtsentwurf erstellen.